schau_spiel
Schauspiel als choreografische Praxis Künstlerische Grundlagenforschung Bewusstseinsbildende Begriffe
Die O-W Fragen
Schauspiel als choreografische Praxis
Ein Blick, eine Geste, die Bewegung des Körpers am Platz und im Raum, das Sprechen von Wörtern, Sätzen, - all diese Vorgänge, als Bestandteile einer jeden schauspielerischen Handlung, können wir, wenn wir sie als z.B. als Formveränderungen im Raum verstehen, einer musikalischen, choreografischen oder kompositorischen Betrachtung und Behandlung unterziehen - und damit auch interdisziplinärer verständlich machen.
Die O-W Fragen
Inspiriert von den sogenannten "W- Fragen", die Lee Strasberg, als Hilfestellung zur psychologischen Figurenfindung formulierte ( Wer bin ich, Wo befinde ich mich, Was mache ich dort? und Was ist vorher geschehen) nutzen wir die "O-W Fragen" als eine Möglichkeit, konkrete Handlungen und Pausen zu initiieren, zu inspirieren und zu definieren.
O – steht dabei für die wichtigste Frage überhaupt - „Ob“?
Ist eine Handlung im Moment überhaupt sinnvoll ? Ja oder Nein? Wenn Ja- kann sich eine oder mehrere der W- Fragen anschließen:
Was genau ist die Handlung, woraus besteht sie ?
Wie genau, in welcher Qualität, Intensität, Ästhetik, führe ich diese aus?
Wann genau findet die Handlung statt? Wovor, Wonach, Wie lange?
Wo genau im Raum? Wer ist/sind die Adressat*innen ? Wozu dient die Handlung im Kontext des Stücks, der Aufführung, des Ensembles, der Situation ?
Ob, Wo, Wann, Wer, Wie, Was und Warum - diese Fragen können an jede theatrale/performative Handlung gestellt und in beliebiger Reihenfolge, Genauigkeit und Vollständigkeit beachtet/bearbeitet werden.
Improvisation
Besonders in Improvisationen können die "O-W Fragen" als wichtige Filter, Impulsgeber und Inspirationswerkzeuge dienen, um körperliche, räumliche und klanglich- sprachliche Handlungen in Raum, Zeit und Kontext zu initiieren .
Die verschiedenen Parameter schärfen dabei das Bewußtsein für das eigene Tun (und erwecken dabei gar nicht so selten den Eindruck von „psycho-logischen“ fiktiven Figuren...)
Die Schauspieler_innen können sich also durchaus spielerisch UND performativ verhalten (wenn wir performativ in den Sinne verstehen, dass hier bewußt Handlungen ausgeführt werden, im Gegensatz zum dem So Tun Als Ob) ohne dass damit zwangsläufig ein bestimmter Gestus oder eine bestimmte Ästhetik einhergeht.
Die Aufmerksamkeit richtet sich durch die "O-W Fragen" sowohl auf die eigene Darstellung als auch auf die Komposition der räumlichen und zeitlichen Beziehungen zu den Anderen, also auf die Aspekte des Zusammen_spiels .
Schau_spiel
Das Schauspiel-Handwerk, als erlernbares Können, besteht, so behaupte ich, aus dem bewußten Arbeiten mit dem eigenen Körper inklusive der Stimme, der bewußten Wahrnehmung von anderen Personen, Körpern und Objekten, dem bewußten Umgang mit Raum, Zeit und Publikum, dem bewussten Eingehen von Beziehungen, dem bewussten Setzen von theatralen Zeichen - und dies alles in kommunikativ-spielerischer also ergebnisoffener Form. Ein großer Teil der „Arbeit“ besteht also aus dem Wahrnehmen, Beobachten, Erfassen spielerischer Vorgänge. Für jede künstlerische Arbeit, behaupte ich weiter, (und wir gehen davon aus, dass es sich auch bei der schauspielerischen Arbeit und Improvisation um eine solche handelt), ist es wichtig / hilfreich, Im Moment zu sein / mit Gegebenheiten und Angeboten flexibel umgehen zu können / sich von Da- Seiendem und Jetzt- Stattfindendem inspirieren lassen zu können / Es ist hilfreich, Möglichkeiten der Kommunikation in Form von Aktion, Reaktion Interaktion zu Verfügung zu haben / Eigene und fremde Handlungen als einzelne Ereignisse und in Zusammenhängen und Kontexten sehen zu können, und sich selbst, spontan kurz mittel und langristig, Fragen und Aufgaben stellen zu können.
Hier setzt die To Do Box an:
Notwendigkeit und Motivation
Die Erscheinungsformen und Funktionen von schauspielerisch- performativer Kunst ist im steten Wandel: Arbeitsweisen-, Ästhetiken-, Zielgruppen-, Aufführungsformate- und - Orte ändern sich, neue Wirkungsfelder wie interdisziplinäre, immersive, partizipative Projekte, kommen hinzu.
Die hochschulische künstlerische Ausbildung von Schauspieler*innen jedoch trägt der wachsenden Vielfalt kaum Rechnung, sondern verwaltet vielerorts des Status Quo des (zum Teil sogar vor-) letzten Jahrhunderts. Das führt dazu, dass die hohe künstlerische Eigen-Verantwortung, die den Spielenden in einigen Kontexten heute zugestanden bzw. abverlangt wird, von den Darsteller*innen häufig als Überforderung wahrgenommen wird.
Eine Ursache hierfür sehe ich in dem gelehrten und gelernten Bewußtsein, dass sich nicht zuletzt aus den Begriffen speist, die das Stattfindende (Gesehene oder Gewünschte) benennen bzw. bewerten: obwohl die Vielfalt der Formate, Arbeitsweisen, Ästhetiken in der Praxis wächst, bleiben die verwendeten Begriffe in der Ausbildung häufig unverändert.
Vor allem die Begriffe, die als Fundament des darstellerischen Selbstverständnisses angesehen werden können, (wie z.b. der Begriff der "Figur") sind dabei jedoch erstaunlich schwammig- bzw. gar nicht definiert. Mit Kategorien und Parametern aus theorieaffineren Kunstformen wie Komposition, Choreografie, Performance, Tanz decken sie sich nur selten, oft genug schließen sich die Benennungen gegenseitig aus. Das erschwert sowohl die selbständige Arbeit (die ohne Anweisungen Anderer auskommt) als auch die interdisziplinäre Kommunikation und Zusammenarbeit, selbst zwischen den verwandten, benachbarten darstellenden Künsten Tanz / Choreografie, Schauspiel, Gesang/Oper Performance Art.
In meiner Grundlagenbefragung geht es deshalb darum, Begriffe zu (unter-)suchen , die die kleinste Einheit des Stattfindenden: die schauspielerische / performative Handlung; nicht interpretieren, sondern genau beschreiben: einzeln und im Kontext und damit transdiziplinär verständlich und kommunizierbar machen.
Ich möchte Fragen und mögliche Antworten zur Verfügung stellen, die hilfreich sein können, performative Handlungen zu initiieren bzw. darstellerische Funktionen zu konzipieren; und zwar unabhängig von Ästhetik und Spielweise einer Inszenierung.
was bisher geschah...
Seit dem Forschungsprojekt "interdisziplinäre Denk- und Arbeitsweisen für das zeitgenössische Theater", dass ich, mithilfe des DEP Künstlerinnenstipendium zur Weiterqualifizierung für eine Professur, von 2009-2012 an der HfMTM Hannover durchführen durfte, untersuche ich die Bausteine der sehr komplexen künstlerischen Praxis Schauspiel und suche für deren Strukturierung nach Begriffen und Kategorien, die nicht auf der sog. „Psychologie“, also der angenommenen Logik einer fiktiven Figur, beruhen, sondern interdisziplinär kommunizierbar sind. Das Projekt machte auf den Mehrwert der Verwendung von choreografischen Begriffen und Methoden im zeitgenössischen Schauspiel aufmerksam.
In meiner Arbeit als Regisseurin, konnte ich die gefundenen Begriffe und Übungen mit großem Erfolg anwenden- die erste Arbeit, in der die Tools Verwendung fanden, „Ente Tod und Tulpe“ am Düsseldorfer Schauspielhaus gewann 2013 den Hauptpreis der Jury beim Westwindfestival Theatertreffen für junges Publikum NRW. Aus der Konzeption des Schauspielunterrichtes für Dramaturg_innen und Regisseur_innen an der Theaterakademie Hamburg, den ich seit 2014 leite, ist das Denk-und Lehr- Modell performativ- schauspielerischer Handlungen über die Definition der „O-W Fragen“ hervorgegangen.
Für interdisziplinäre Lehrveranstaltungen und Workshops, die ich seit 2013 u.a. an der Universität der Künste Berlin anbiete, entwarf ich verschiedene Prototypen von aleatorischen Werkzeugen zur Generierung von Handlungsanweisungen, die auch transdisziplinär funktionieren.